Das kleine Dorf Erdbach ist eines der schönsten und vielgestaltigsten im ehemaligen Dillkreis, Am Ostrande des Westerwaldes liegt es, geschützt von rauen Westwinden, in einem tiefen Talkessel. Nur nach Osten öffnet sich der natürliche Zugang. Das hat auch die Bahnlinie zur Umkehr im Kopfbahnhof Erdbach gezwungen.

BlickvonOsten

Wenn wir vom Ambachtal her auf der Kreisstraße an der „Dicken Eiche“, einem alten Naturdenkmal vorbeigekommen sind, beginnt bei 360 m über NN die Erdbacher Gemarkung. Ihr äußerster westlicher Zipfel aber endet über dem Breitscheider Flugplatz in 580 m Höhe. Das sind, über 200 m Unterschied innerhalb der kleinen Gemeinde! Der Ort selbst liegt um 320 m NN. Der kleine Erdbach hat trotz der Ausweitung durch ein schön gelegenes Neubaugebiet noch immer unter 630 Einwohner. Und so ist es – geschützt vor dem Durchgangsverkehr – ein ruhiger Ort in einem stillen Tal geblieben.
Seinen Namen hat der Ort von dem unterirdischen Bachlauf des Erdbaches. Der zwingt sein Wasser unterhalb Breitscheid, dicht neben der Straße, in tiefe Felsspalten. Nach etwa 14 Stunden kommt derselbe Bach im Erdbacher Kalksteinbruch wieder an das Tageslicht. Wahrlich eine seltene und seltsame Sache!
Den Weg des Wassers durch die „ E r d b a c h h ö h l e “ haben die Höhlenforscher von „Karst und Höhlen in Hessen“ in mehreren mühevollen Aktionen bis auf eine Tiefe von 93 m erforscht und vermessen. Danach ist sie die größte Höhle in Hessen und eine der tiefsten von ganz Deutschland. Man musste die Wassermassen des Erdbaches in die Spalten ableiten, durch welche sie früher in den Berg geflossen waren. Auf der etwa 450 m erforschten Strecke wurden diese Gewässer nicht mehr angetroffen; so groß und weitläufig sind die unterirdischen Gang- und Höhlensysteme! Dabei geht es gleich zu Anfang 35 m senkrecht über einen Strickleiterabstieg in den Abgrund. Wenn der obere, trocken liegende Teil dieses Höhlenlabyrinths einmal für den Besucher erschlossen würde, müsste es bei dem Betrachter einen gewaltigen Eindruck hinterlassen, diesen tosenden Absturz der Wassermassen zu erleben. Eine große Diaserie der Höhlenforscher zeigt uns die Schwierigkeiten einer Erschließung, aber auch die Schönheiten der Kristall- und Tropfsteinbildungen in der „Erdbachhöhle“. Weil man wegen des hohen Wasserstandes im tiefen Höhlenbereich von Breitscheid her nicht mehr weiterkommt, hat man eine Erschließung von unten her versucht. Der Bachauslauf im großen Erdbacher Kalksteinbruch – übrigens von einer kleinen Brücke aus Eichenstämmen für den Besucher gut sichtbar – ist wegen des hohen Wasserstandes nicht zugänglich. So versuchte man es jetzt von der „Stollenhöhle“, dem früheren Bachbett, aus. Dort wurde schon um 1930 eine Höhle mit sehr großem Querschnitt angesprengt. Leider ist sie Berg und Talwärts mit Lehmschichten voll geschwemmt. Beim weiteren Ausräumen dieser Schichten haben die Höhlenforscher die Reste von Höhlenbären gefunden. Die Strahlenmessungen nach der Radiocarbonmethode haben ein Alter von etwa 50 000 Jahren ergeben. Die Knochen- und Zahnreste gehören zu Tieren verschiedener Altersgruppen. Weil sie von weiter oben mit dem Erdbach eingeschwemmt sein müssen, hoffen die Forscher auf weitere große Höhlenräume in dem alten Bachbett. Und wir hoffen mit ihnen, dass sich ihre große Mühe lohnt und die neuen Höhlenteile für die Öffentlichkeit zugänglich werden.

Die innen hohle etwa 700 Jahre alte Dorflinde von Erdbach

Linde_SommerDer Kalksteinbruch, Teil eines früheren Korallenriffs aus dem Oberdevon, hat verschiedene Naturhöhlen. Aber leider ist der schöne Tropfsteinschmuck restlos ausgeräubert worden. Zum Glück sind die schönsten Stücke noch durch die Höhlenforscher von „Karst und Höhlen in Hessen“ gesichert worden. In der „Erd- und vorgeschichtlichen Ausstellung“ im Erdbacher Dorfgemeinschaftshaus sind diese Tropfsteine und Sinterbildungen, teilweise mit schön polierten Schnittflächen, zusammen mit anderen geologischen Seltenheiten ausgestellt, tief in die Kalkfelsen eingeschnitten ist die „Gasse-Schlucht„. Es ist anzunehmen, dass dieses jetzige Trockental einmal das Bett des Erdbaches bildete, bevor dieser sich seinen unterirdischen Weg suchte. Der Spaziergänger findet hier eine parkähnliche Landschaft zwischen hohen, schroffen Kalkfelsen. An dem Wanderweg laden schöne Ruhebänke zum Verweilen ein. Gerade bei der Hitze des Hochsommers ist es hier im Schatten der hohen Bäume und Felsen so angenehm kühl. Aber auch zu jeder anderen Jahreszeit hat die Schlucht ihre besonderen Reize. Wegen der überaus vielfältigen Pflanzenwelt ist sie als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Mehr als 20 verschiedene Strauch- und Baumarten haben sich hier bis zum Friedhof hin angesiedelt. Und neben Märzbecher, Hohler Lerchensporn, Gelbe Anemone und Aronstab u. a. kommen im zeitigen Frühjahr noch viele seltene Pflanzen dort vor. Und für jeden Schlucht-Wanderer soll der Schutz der botanischen Besonderheiten ein ganz dringendes Anliegen sein!

Eine lateinische Pergamenturkunde erwähnt Erdbach bereits 1230/31 als Erdinebach. 1353 wird von einem Priester von Erpach berichtet, und 1398 gibt es ein Nieder ¬und 0bererpach. Daraus wird später Ertpach und das heutige Erdbach, (aber nur noch bis zur Eingemeindung nach Breitscheid ab 1977).
Vorgeschichtliche Funde bezeugen eine sehr frühe Besiedlung des geschützten Erdbachtales und seiner Höhlen. Schon 1883 wird die Steinzeit durch zwei Steinbeile von Erdbach bezeugt. In den Steinkammerhöhlen wurden neben vielen Siedlungsresten aus der Späthallstattzeit auch eine Grabanlage mit schönen Beigaben, u. a. dem „Erdbacher Wendelring“ aus Bronze, freigelegt. Und in den letzten Jahren fand man Abfallgruben von alten Wohnstätten aus der gleichen Zeit im Weilstein und auf dem neuen Friedhof mit sehr vielen Scherbenresten und Werkzeugen, einem Bronzering usw. aus der Zeit vor etwa zweieinhalbtausend Jahren.

Der alte Dorfkern gibt mit schönen geschnitzten Fachwerkhäusern, z. T. mit Haus-Inschriften, ein Zeugnis spätmittelalterlicher Baukunst. Dabei steht auch die etwa 700jährige, innen völlig ausgehöhlte Dorflinde. Erst vor zwei Jahren wurde sie mit großem Kostenaufwand von Faulstellen gesäubert und imprägniert. Man hofft nun, dass dieses alte Naturdenkmal noch manche Generation überlebt.

Mittlerer Teil der „Gasse-Schlucht“ ein schönes Naturschutzgebiet in Erdbach.

SchluchtAus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt die alte Erdbacher Kapelle, ähnlich angelegt wie die Kirche im Feldbacher Hof, der Stammkirche von Dillenburg. Die 1909 bei einer Renovierung wiederentdeckten alten Bilder der Apostel im Chorraum stammen wahrscheinlich aus der Zeit kurz vor 1500 und wurden wohl nach dar Reformation übertüncht. Seit der 2. Überholung im Jahr 1968 können diese schlichten Gemälde wieder ihren starken Eindruck auf den Betrachter ausüben. Die Kanzel stammt aus dem Jahr 1620. Überhaupt ist die kleine Erdbacher Kapelle mit ihren Wand- und Deckengemälden – u. a. mit dem Pelikan – ein besonderes Kleinod unserer Heimat. Im Sommer 1975 wurde das neue Erdbacher Dorfgemeinschaftshaus auf dem früheren Schulhof – meist in Eigenhilfe erbaut – seiner Bestimmung übergeben. Neben der modern eingerichteten Küche und dem Schankraum gibt es hier einen großen Saal für etwa 300 Gäste. Und der häufige Gebrauch bei allerlei Feiern und Familienfesten zeugt von dem Bedarf eines solchen Hauses. Im Vorraum des DGH ist jetzt die seit 1972 bestehende „Erd- und Vorgeschichtliche Ausstellung“ untergebracht. In vier großen, gut beleuchteten Glasvitrinen sind die Fundstücke untergebracht: Schaustücke aus dem Kalk des Oberdevon mit seinen Höhlen, Fossilien des Kalkes und des Kulmschiefers, Reste von Krokodil, Nashorn und anderen Tieren aus der Braunkohlengrube von Breitscheid, die Höhlenbärenknochen und -zähne, aber auch allerlei Gesteine und schöne Kristalle unserer näheren Heimat. Aus Erdbachs ältester Vergangenheit erzählen die Werkzeuge und Scherbenreste der Hallstattzeit. Ein Landschaftsmodell und eine große geologische Karte vermitteln die Übersicht über diesen sehr interessanten Teil des Dillkreises. Hinzu kommen aufschlussreiche Stücke aus dem Diabas und Basalt. 48 große Farbaufnahmen zeigen die schönsten Fossilien der Pflanzen- und Tierwelt aus dem Erdbacher Unterkarbon und ergänzen die Originalversteinerungen eines großen Schaukastens. Alles ist gut beschrieben und auf Schautafeln erklärt. So ist diese Ortsbezogene Ausstellung eine sehr große Leistung der kleinen Gemeinde Erdbach!
Außer dem Bau des Dorfgemeinschaftshauses und guter Außenanlagen hat die Gemeinde noch sehr viel zur Verschönerung des Ortsbildes getan. Wanderwege im Rolsbachtal und durch den Wald bis zum Sportplatz hin werden erschlossen. Vor kurzem hat die Gemeinde den Pfad zu den „Steinkammern“ breit ausgebaut, mit einem starken Geländer gesichert und dick mit Kalksplitt versehen, dazu den Weg vom Rolsbachtal her über die Kante des Kalksteinbruchs zur Schlucht hin breit ausgebaggert. Dadurch sind jetzt beide Naturschutzgebiete (Schlucht und Steinkammern) durch einen schönen Weg verbunden. Von ihm aus hat man einen großartigen Ausblick auf das ruhige und stille Dörfchen mit seinen Bergen und Wäldern.
W. Hofmann (Heimatjahrbuch 1977)