Der Westerwald

Der Westerwald, zu dem das Gebiet um Erdbach gehört, ist Teil des Rheinischen Schiefergebirges und eines der bekanntesten deutschen Mittelgebirge. Er liegt zwischen den Tälern von Rhein, Sieg, Dill und Lahn. Seine höchsten Erhebungen (Fuchskaute,657 m, Stegskopf, 654 m und Salzburger Kopf, 653 m) treten aus der flach gewellten Hochfläche nur wenig hervor.Wesentlich abwechslungsreicher ist die Gegend östlich vom Hohen Westerwald gestaltet, in der tiefer eingeschnittene Täler und bewaldete Höhen die Landschaft prägen. Der Ort Breitscheid liegt am Westrand einer weiten, nach Osten leicht fallenden Mulde in ca.450m Höhe. Etwa 1,5km östlich liegt das kleinere Erdbach bei ca. 310 m NN in dem engeren, von steilen Hängen umgebenem Tal des gleichnamigen Baches, das sich nach Norden in Richtung Uckersdorf fortsetzt.

Geologie des Untergrundes

Wie in kaum einem anderen Gebiet in der näheren und weiteren Umgebung hat der Wanderer in der Umgebung von Erdbach und Breitscheid die Möglichkeit,den Bau der Erdkruste und die Auswirkungen der verschiedenen Gesteine auf das Landschaftsbild kennen zu lernen. Gerade dabei ist es aber auch wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Gesteine des Untergrundes im wahrsten Sinne des Wortes die Grundlage für die Existenz des Menschen bildeten und ausschlaggebend waren für die Entwicklung von Wirtschaft und Kultur.

Der Westerwald gehört der größeren geologischen Einheit des Rheinischen Schiefergebirges an. Seine Höhen werden hauptsächlich aus Tonschiefern und Grauwacken aufgebaut, die vor ca. 380 Millionen Jahren im Zeitalter des Devon entstanden. Im Tertiär (vor ca. 65 bis vor 2 Millionen Jahren) lagerte
sich zunächst Ton über den älteren Gesteinen ab, der heute noch west lich von Breitscheid zu finden ist. Wie die weiter im Südosten gelegenen Höhenzüge von Vogelsberg und Rhön wurde diese Landschaft anschließend während heftiger Vulkanausbrüche von Lava übergossen, die schließlich zu Basalt erstarrte, einem dunkelgrauen, basischen und sehr festen Gestein, aus dem beispielsweise das Kopfsteinpflaster früherer Straßenbeläge gewonnen wurde.

Einem seltenen Glücksfall ist es wohl zu verdanken, dass das Gebiet zwischen Erdbach und Breitscheid damals nicht vollständig vom Basalt überdeckt wurde, sondern auch, dass sich ausgerechnet hier im Devon ein Korallenriff in einem tropischen Meer gebildet hatte, in dem sich Kalk ablagern konnte. Dieser sogenannte Iberger Kalk (benannt nach dem lberg im Harz, an dem dieser Kalk erstmals wissenschaftlich untersucht wurde) besitzt, wie Bohrungen zeigten, eine Dicke von bis zu 300 Metern und reicht westlich von Breitscheid noch unter die Basaltdecke des Hohen Westerwaldes.

Kennzeichen einer Karstlandschaft

Die wichtigste Eigenschaft des Kalkes, die auch die Besonderheit dieser Landschaft begründet, ist die
Tatsache, dass Kalk bereits von schwachen Säuren angegriffen wird. Das Sprichwort »Steter Tropfen
höhlt den Stein «trifft hier genau den Kern der Sache, denn das Regenwasser nimmt in der Luft Kohlendioxid (CO2) auf, bevor es die Erde erreicht. Auch im Boden kann das Wasser noch CO2 aufnehmen, welches hier aus der natürlichen Zersetzung organischer Substanz enstammt. Aus der Verbindung von Wasser und CO2 entsteht Kohlensäure, wie man sie zum Beispiel vom Mineralwasser her kennt. Trifft diese Säure auf Kalk, kommt es zu einer chemischen Reaktion, in deren Verlauf der Kalk auf gelöst und fortgeschwemmt wird. Dabei ist es egal, ob sich der Kalk über oder unter der Erde befindet. Dieser Vorgang ist also natürlichen Ursprungs und fand schon immer auf der Erde statt, im Gegensatz zum „Sauren Regen“,dessen aggressive Substanzen aus Auto- und lndustrieabgasen stammen.
Die eben beschriebene Reaktion nennt man Verkarstung.Man kann sich leicht vorstellen, dass sie, wenn sie ungestört über Jahrhunderte oder gar Jahrmillionen ablaufen kann, in der Lage ist, eine ganze Landschaft umzuformen. Es entsteht dann eine sogenannte Karstlandschaft, die nach einer Gegend im ehemaligen Jugoslawien, dem Karst, benannt ist.Oft bilden sich in solchen Landschaften sogenannte Ponore (auch Bachschwinden oder Schlucklöcher), Stellen, an denen Bäche durch Spalten oder Löcher im Untergrund verschwinden. Hat sich ein Bach einmal einen Ponor freigespült, bleibt das alte oberflächliche Bachbett unterhalb des Ponors nun trocken, es ist ein Trockental entstanden. Ein Kennzeichen von Karstlandschaften ist also auch ein Mangel an Oberflächenwasser, was insbesondere Folgen für die Landwirtschaft hat. Schwemmt das Wasser im Laufe der Zeit sehr viel Material um das Schluckloch herum fort, oder bricht ein Oberflächen naher Höhlenraum ein, bildet sich eine trichterförmige Vertiefung in der Landschaft – eine sogenannte Doline. Außerdem können beim Einbruch unterirdischer Hohlräume auch größere Öffnungen zur Oberfläche durchbrechen. Man spricht dann von Natur- oder Karstschächten. Stellt man sich einen Ouerschnitt durch ein Karstgebiet vor, kann man im Inneren des Berges verschiedene Karstzonen unterscheiden. Das in den Untergrund eingetretene Wasser sickert zunächst durch mit Luft gefüllte Spalten und Klüfte der oberen Karstzone (sog. vadoser Bereich), bis es am Karstwasserspiegel auf die tiefe Karstzone trifft, die ständig mit Wasser gefüllt ist (phreatischer Bereich). Bei starkem Wasserandrang (zum Beispiel Hochwasser nach einem Gewitterregen) kann der Karstwasserspiegel in den Höhlen- und Kluftnetzen beträchtlich steigen und sonst trockene Gänge überfluten, was insbesondere für Höhlenforscher eine große Gefahr darstellt. Diesen gelegentlich überfluteten Bereich nennt man die mittlere Karstzone (semiphreatischer Bereich).

Das Gegenteil der Ponore sind die Karstquellen, in denen das Wasser wieder zu Tage tritt. Sie haben oft ein großes Einzugsgebiet und es ist dann schwierig, nachzuweisen, woher die Quelle ihr Wasser bezieht. Manche Quellen sind Abflüsse der mittleren Karstzone und nur bei großem Wasserangebot tätig. Diese nennt der Volksmund zutreffend Hungerbrunnen (zwischenzeitlich ausgetrocknete Quelle). Problematisch beim Karstwasser ist die Tatsache, dass es durch relativ großräumige unterirdische Gänge fließt und somit Verunreinigungen nur schlecht herausgefiltert werden. Karstquellen verfügen demnach oft über eine schlechte Wasserqualität.
Da man alle die eben genannten Erscheinungen in der Umgebung von Erdbach und Breitscheid findet, handelt es sich hier also auch um eine Karstlandschaft.

Dass sie keineswegs öde und grau ist wie die Karstgebiete in Südeuropa, liegt unter anderem an unserem feuchteren Klima, an der nur geringen Ausdehnung des Gebietes und an der noch nicht so weit fortgeschrittenen Verkarstung.

Dass das kleine, nur etwa zwei Quadratkilometer große Karstgebiet überhaupt zugänglich ist, verdanken wir einem geologischen Zufall, denn die Vulkane, die den Westerwald zu großen Teilen mit ihrer Basaltlava bedeckten, sparten dieses Korallenriff aus dem Devon aus.
Phänomene einer Karstlandschaft
Unvermittelt verschwindet der Erdbach in einer Höhle im Untergrund, stürzt über 80 Meter in die Tiefe und taucht erst nach fast eineinhalb Kilometern als Quelle wieder auf.

Höhlen

Karstlandschaften lassen sich an bestimmten Eigenarten erkennen. Die auffälligsten und bekanntesten sind Höhlen, die durch die unterirdische Auflösung von Kalk entstehen und in manchen Gegenden beträchtliche Größen erreichen können. Durch Spalten im Gestein oder durch Bachschwinden dringt ständig Wasser in Höhlen ein. Es sammelt sich meistens an bestimmten Stellen, um dann im weiteren Verlaufs eines Weges als Höhlenbach den unterirdischen Höhlengängen zu folgen. Wo durch diese natürlich wiederum langsam erweitert werden.

Eine Besonderheit der Höhlen stellen die bekannten Tropfsteine oder Sinter dar. Es sind Ablagerungen von gelöstem Kalk, den das Wasser aus feinen Rissen und Fugen herantransportiert hat. Erst wenn das mit Kalk (Calciumhydrogencarbonat) gesättigte Wasser in den mit Luft gefüllten Höhlenraum gelangt, kann ein Teil verdunsten, und lässt den Kalk (Calciumcarbonat) zu rück, der sich an den Felsen in bizarren Formen ablagert. Es bilden sich stehende Tropfsteine auf dem Höhlenboden (Stalagmiten), Zapfen, die von der Decke hängen (Stalagtiten) und sogar durchgehende Säulen (Stalagstelen). Außerdem können sich Girlanden, Vorhänge oder geschlossenen Sinterüberzüge an den Wänden bilden.

Tropfsteine sind kleine Kunstwerke der Natur und wachsen sehr langsam – in unserem Klima meistens weniger als einen Zentimeter im Jahrhundert. Deshalb ist es unverständlich, dass sie oft von unvernünftigen oder habgierigen Menschen abgeschlagen und zerstört werden. Zu Hause im Schrank werden Tropfsteine schnell grau und unansehnlich und zerfallen schließlich. Man lasse sie in ihrer dunklen Heimat!

Weil niemals die Sonne in die tieferen Höhlenregionen scheinen kann, herrscht hier das ganze Jahr über eine feuchte und kalte Atmosphäre. Deshalb findet man auch nur wenige Lebewesen in Höh len. Am auffälligsten sind noch die Fledermäuse, die sich etwa in der Zeit von Oktober bis April zum Winterschlaf an die Höhlendecke hängen. Da sie sehr empfindlich gegen Störungen sind, darf man Höhlen in dieser Zeit nicht betreten. Ansonsten findet man in Höhlen manchmal Insekten oder Spinnen, die hier ein Leben in ewiger Dunkelheit führen und sich von hereingeschwemmter organischer Substanz ernähren.

Quelle: Christian Grubert, Karst und Höhlen um Erdbach – ein kleiner naturkundlicher Wanderführer,
Wiesbaden 1995 (Naturschutzhaus e.V.)