Breitscheid-Erdbach. Mit etwas Wehmut denke ich daran zurück: Aus dem „Bakkes“ (Backhaus) kommen ein Mann und eine Frau, auf ihrer rechten Schulter ruht ein langes Brett, auf dem sechs bis zehn frische Brotlaibe liegen – lang ist’s her, dass die Schornsteine in den Backhäusern der Dillkreis-Dörfer, zum Beispiel In Erdbach, rauchten.
Bevor es hier mit der Bäckerei losging, trug man sich in eine Backesliste“ ein. Ordnung musste schließlich sein, Gezänk war da von vornherein ausgeschlossen. Die Eintragung erfolgte auf einer Schiefertafel, und was auf ihr stand, war bindend. Fünf Familien pro Tag konnten sich für jeweils drei Stunden in diese Liste eintragen. Da musste der, der frühmorgens um sechs Uhr sein Brot in den Schamottofen schieben wollte, früh raus; Langschläfer trugen sich deswegen lieber nachmittags ein.
Doch der Reihe nach: Der Vater wuchtete vor dem Backtag den Mehlsack in die Küche. Das Mehl, das in der damals noch funktionstüchtigen Neumühle gemahlen worden war, musste schließlich noch eingemengt werden. Dabei gab man es in das Backmol, das auf zwei Stühlen stand, und goß warmes Wasser dazu. Aus einem blauen irdenen Gefäß wurde dann poch Sauerteig, der zur Gärung gebraucht wurde, beigemengt. Nun konnte der Teig über Nacht „gehen“.
Am nächsten Morgen in der Frühe brachte man Backholz, das man in Erdbach auch „Wellen“ oder „Gebincher“ nennt, zum Backes. Es wurde zum Anfeuern benötigt. Und da brauchte man viel Holz, denn der mit Schamottsteinen ausgemauerte Backofen war ungeheuer gefräßig.
Die Oma zu Hause kümmerte sich derweil um das Eingemengte und gab unter ständigem Rühren weiter lauwarmes Wasser und die erforderliche Menge Salz hinzu, so dass ein zähflüssiger Brei entstand.
Jetzt war Kraft gefragt: Zunächst wurde Mehl über die im Backmol befindliche Masse geschüttet, dann knetete und wendete man den Teig auf dem Boden der Backmulde. Nicht nur im Sommer musste jemand bei dieser schweißtreibenden Arbeit mit dem großen leinenen „Sacktuch“ bereitstehen, um die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. Aus diesem Teig wurden dann die Brote geformt. Anschließend stach man mit einer Gabel in die Teiglaibe.
Der Ofen war inzwischen weiß vor Hitze, die richtige Temperatur wurde mit Getreideähren überprüft. Mit dem „Backeskiss“ holte man die Holzkohle aus dem Ofen, und mit einem nassen, an einer Stange befestigten Strohwisch fegte man die letzten Aschereste aus dem glühenden Backofen. Bevor die ersten Brote mit der „Backschessel“ in den Ofen „eingeschossen“ wurden, frischte Oma sie noch einmal mit Wasser auf, damit sie nachher schön knusprig waren.
Bis zu fünfundzwanzig Brote hatten in einem Backofen Platz. Nach einer gewissen Zeit wurden die Brote mit der „Kiss“ herausgeholt und noch einmal mit einer Bürste und Wasser „gesalbt“. Nach gut einer Stunde war das Brot gebacken.
Dann sah man sie, die Männer und Frauen mit den großen Brettern auf ihren Schultern, auf denen die knusprigbraunen Brotlaibe lagen, so richtig zum Anbeißen.
Bei der „zweiten“ Hitze war anschließend noch Platz für die Nachbarin, sich einen Kuchen zu backen. Mit der Haarnadel prüfte man, ob die bräunenden „Riwwel“-, „Quetsche“und „Äppelkuchen“ fertig waren. Bei dieser Gelegenheit war es gemütlich, konnte man doch so richtig schön tratschen, an Gesprächsstoff fehlte es nicht in einem so kleinen Dorf.
Ich erinnere mich gut, dass ich nach einem solchen Backtag ein großes Bauernbrot, einen Butterweck und Quetschehoink mit auf meine Arbeitsstelle genommen habe. Dort, im Rathaus der ehemaligen Kreisstadt, war man des Lobes voll über die Backkunst. Und bei Meckels Willi gegenüber vom Eisernen Steg habe ich das Brot auf der handbetriebenen Maschine schneiden lassen. Meine Oma hätte dies mindestens genauso schnell und gründlich mit dem großen Messer geschafft.
Die gute Tradition des Brotbackens im Dorfbackes haben die Landfrauenvereine wieder aufleben lassen. Da raucht des öfteren in einem Dorf das Backes, und jeder weiß, dass er sich sputen muss, will er noch ein „Vierpfünder“ ergattern.
Quelle: Zeitungsgruppe Lahn Dill, Autor: Gerd Werner, Erdbach